Jesper Juul und ADHS: Beziehungsansatz statt Diagnosestigmatisierung
Jesper Juul, der renommierte dänische Familientherapeut, hinterfragt die gängige Praxis der Diagnose von ADHS und betont, dass der Fokus auf die Bedürfnisse von Kindern und ihre Beziehungen gelegt werden sollte. Juuls Perspektive basiert auf einer tiefgreifenden Analyse der Dynamik zwischen Eltern, Lehrern und Kindern, die er als zentral für die Entwicklung eines gesunden Selbstwertgefühls und stabiler Verhaltensmuster ansieht. Jesper Juul verstarb am 25. Juli 2019, doch seine Ansätze und Ideen bleiben weiterhin von großer Bedeutung.
ADHS als Folge professioneller Vernachlässigung
In zahlreichen Veröffentlichungen beschreibt Juul ADHS nicht als reines medizinisches Problem, sondern als Symptom eines tiefer liegenden gesellschaftlichen und erzieherischen Missstands. Er bezeichnet ADHS als „Folge professioneller Vernachlässigung“, da viele betroffene Kinder in einem Umfeld aufwachsen, das ihre individuellen Bedürfnisse und emotionalen Herausforderungen nicht ausreichend berücksichtigt. Anstatt Kinder vorschnell zu diagnostizieren und mit Medikamenten wie Ritalin zu behandeln, fordert Juul einen Paradigmenwechsel hin zu mehr Verständnis, Zeit und echtem Interesse an der Persönlichkeit des Kindes.
Hilft Ritalin oder Routine? Juuls Alternativen
Jesper Juul stellt die Frage, ob Ritalin die beste Lösung für Kinder mit ADHS ist, oder ob strukturierte Routinen und eine bessere Beziehungsgestaltung innerhalb der Familie nachhaltigere Ergebnisse erzielen können. Er argumentiert, dass die Diagnose von ADHS oft als Mittel genutzt wird, um das Verhalten eines Kindes vorhersehbarer zu machen, jedoch langfristig die eigentlichen Ursachen nicht adressiert. Laut Juul ist es entscheidend, Kindern mehr Mitgefühl und Respekt entgegenzubringen, um ihre Selbstregulationsfähigkeiten zu stärken.
Die Bedeutung von Beziehungen und echtem Interesse
Juuls Ansatz hebt die Bedeutung von Beziehungen hervor. Für ihn ist klar, dass Kinder nicht von Diagnosen und Medikamenten profitieren, sondern von Erwachsenen, die ihnen mit echter Aufmerksamkeit und Liebe begegnen. Seine Arbeit ermutigt Eltern, die Bedürfnisse ihrer Kinder nicht als Problem, sondern als Wegweiser für eine gesunde Entwicklung zu sehen. Dadurch können Kinder in einem Umfeld aufwachsen, das ihre emotionalen und kognitiven Fähigkeiten optimal fördert.
Ein Paradigmenwechsel in der Erziehung
Juuls Ansatz fordert Eltern und Pädagogen dazu auf, sich von starren Normen und Standardlösungen zu lösen. Er plädiert dafür, die einzigartigen Fähigkeiten und Herausforderungen jedes Kindes individuell zu betrachten. Dies eröffnet neue Perspektiven in der Erziehung und schafft die Grundlage für eine nachhaltige Entwicklung ohne die Notwendigkeit von Medikamenten oder stigmatisierenden Diagnosen.
Fazit
Jesper Juul zeigt mit seinem Ansatz, dass die Behandlung von ADHS nicht in der medizinischen Intervention allein liegt, sondern in einer grundlegenden Veränderung der Beziehungsgestaltung und des Verständnisses für die Bedürfnisse von Kindern. Sein Modell ist ein Aufruf zu mehr Menschlichkeit und Beziehungsarbeit in einer oft überdiagnostizierenden Welt.
Weitere Informationen zu Jesper Juuls Perspektiven finden Sie unter hier: https://www.familylab.at/about/jesper-juul-articles/item/kolumne-kinder-mit-adhs-hilft-ritalin-oder-routine